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Willkommen auf der Seite Kulturelle Evolution

Bernd Ehlert

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Die Biologie geht nach ihrem großen Erfolg der Entdeckung, Entschlüsselung und zwischenzeitlich vielfältigen praktischen Anwendung des genetischen Codes hoffnungsfroh das nächste große Ziel an, nämlich die Entschlüsselung und Erklärung des Denkens, Bewusstseins und der Kultur. Beflügelt von ihrem erreichten Erfolg kündigen manche Biologen an, die Probleme der Geisteswissenschaften ebenso umfassend und tiefgründig lösen zu können und auf diese Weise die Geisteswissenschaften mit Hilfe der genetischen Gesetzmäßigkeiten zu einer einheitlichen Kultur hin zu vereinnahmen. So betrachtet Edward O. Wilson in seinem Buch „Der Sinn des menschlichen Lebens“ die Geisteswissenschaften als „in einem kleinen Käfig des Bewusstseins“ (Wilson 2015, S. 53) steckend, die darin allein, also ohne die Biologie, das eigentliche Mensch-Sein grundsätzlich nicht begründen können, denn: „Seit über zweitausend Jahren mühen sich die Philosophen, das Bewusstsein zu erklären. Genau das ist ja auch ihr Job. Da sie keine Ahnung von Biologie haben, sind sie – eigentlich verständlicherweise – zu keinem Ziel gekommen“(Wilson 2015, S. 172f). Wird sich auf diese Weise der Siegezug der Biologie fortsetzen?

Dagegen spricht, dass schon die erste Anwendung der Evolutionstheorie auf die Kultur und Gesellschaft in dem Desaster des Sozialdarwinismus endete. Mit Hilfe eines aus der Geisteswissenschaft stammenden Ansatzes kann erklärt werden, warum nicht nur dieser erste Versuch, sondern auch der heutige Versuch der Vereinnahmung der Geisteswissenschaften unter den genetischen Gesetzmäßigkeiten der Evolutionstheorie in einem Desaster enden wird. Der Grund für dieses Scheitern liegt von einem kritischen Verständnis her einfach darin, dass die bisherige Evolutionstheorie zwar in Hinsicht der genetischen Evolution objektiv wahr und damit auch in der Praxis anwendbar ist, aber nicht in Hinsicht der Besonderheit des menschlichen Seins, seines Geistes und seiner Kultur. Die genetische Evolution hat zwar Geist und Kultur des Menschen hervorgebracht, aber Geist und Kultur funktionieren trotzdem unter anderen Gesetzmäßigkeiten als die genetische Evolution, und zwar ebenso wie die Gesetzmäßigkeiten des lebendigen Seins nicht dieselben wie die der Materie sind, obwohl das lebendige Sein daraus entstanden ist. Dabei sind auch in der Biologie die Ansätze schon lange vorhanden, um dieses Problem durch eine modifizierte, darin objektiven Wahrheitskriterien genügende und so auch hinsichtlich des menschlichen Seins anwendbare Evolutionstheorie tiefgründig und umfassend zu lösen, inklusive einer Verständigung mit den Geisteswissenschaften.

Hat Darwins Evolutionstheorie die Entwicklung von Geist und Kultur in den menschlichen Gesellschaften bisher gefördert? Nein, ganz im Gegenteil. Sie hat vielmehr einem bestimmten instinkthaften Verhalten des Menschen, das als animalisches Erbe noch aus der vorzivilisatorischen Zeit der natürlichen Auslese stammt, scheinbar eine wissenschaftliche Grundlage und Rechtfertigung gegeben. Dadurch entstanden der Sozialdarwinismus, die Eugenikprogramme in so gut wie allen zivilisierten Staaten und letztlich entsprechen auch die Vernichtungslager der Nationalsozialisten genau dieser Denkweise. Die Abkehr von diesen Ansichten und dieser Politik nach dem zweiten Weltkrieg lässt sich bis heute ebenfalls nicht von Darwins Evolutionstheorie her begründen oder rechtfertigen, die Abkehr ergab sich allein durch die völlig inhumanen und nicht haltbaren Ergebnisse dieser Ansichten und der ihnen zugrundeliegenden Evolutionstheorie.

Dieser krasse Widerspruch zwischen der Evolutionstheorie und den praktischen Ergebnissen in der Anwendung dieser Theorie auf den Menschen lässt an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Evolutionstheorie von Darwin zweifeln, und das umso mehr, als schon der Mitentdecker der Evolutionstheorie, Alfred Russel Wallace, genau das getan hat. Für Wallace war der Sprung vom Affen zum Menschen zu groß, als dass er mit der gerade gefundenen Evolutionstheorie allein erklärt werden konnte. Wallace suchte daher nach eine zusätzlichen Ursache für die Entstehung und das Sein des Menschen, die er allerdings im Übernatürlichen vermutete, so dass dieser Ansatz zum Zerwürfnis mit Darwin führte und im Sande verlief. Ca. 100 Jahre später brachte Konrad Lorenz auf umgekehrte Weise ein ähnliches Vorhaben ins Spiel, indem er ganz konkret und auf recht einfache Weise die zusätzliche Ursache für das Sein des Menschen im Natürlichen fand, die Wallace vergeblich im Übernatürlichen gesucht hatte. Lorenz erkannte das auf der neuronalen Ebene uns Vertrauteste als ein analog zur genetischen Ebene evolutionswirksames System: das unserer Sprache, in der wir auch denken. Doch Lorenz hatte diese revolutionäre Entdeckung nicht konsequent zu Ende gedacht, so dass er damit weder die Evolutionstheorie von Darwin kritisieren und modifizieren konnte, noch die praktische Folge des Theorienfehlers von Darwin, den Sozialdarwinismus, als solchen erkennen und beheben konnte. Erst der Biologe Edward O. Wilson bringt heute in Konfrontation mit der gängigen Lehre der gen-zentrierten Soziobiologie einen Gedanken ins Spiel, der der revolutionären Erkenntnis von Lorenz und damit auch der Rolle von Geist und Kultur des Menschen in der Evolution in ihrer ganzen Bedeutung zum Durchbruch verhelfen kann. Dieser alles entscheidende Gedanke lautet, dass die Evolution menschlicher Gesellschaften zu Zivilisationen während der letzten mindestens 45.000 Jahre allein ein (darin neuronal bedingter) kultureller und nicht ein genetischer Prozess war und ist! 1 Das bestätigt im Nachhinein den Verdacht von Wallace, weist auf die von Lorenz erkannte wahre Ursache der menschlichen Evolution hin, die Darwin nicht erkannt hatte, und entzieht gleichzeitig dem Sozialdarwinismus und jedem Rassismus den Boden.

Als einen Beleg dafür, dass die Evolution menschlicher Gesellschaften zu Zivilisationen während der letzten mindestens 45.000 Jahre ein kultureller und nicht ein genetischer Prozess war, führt Wilson an, dass Kleinkinder aus immer noch archaisch lebenden Jäger-und-Sammler-Gesellschaften, die bei Adoptivfamilien in technologisch fortschrittlichen Gesellschaften aufwachsen, zu kompetenten, von ihrem geistig-kulturellen Verhalten her nicht unterscheidbaren Mitgliedern dieser Gesellschaften werden – obwohl die genetische Abstammungslinie des adoptierten Kindes sich wie im Fall der australischen Aborigines vor 45.000 Jahren von der der Adoptiveltern getrennt hat. An der „genetischen Fitness“ zur Hervorbringung von Geist und Kultur hat sich diesem Verständnis gemäß in den letzten ca. 45.000 Jahren daher nichts Entscheidendes verändert. Das heißt, dass damit kulturelle (Fehl)Entwicklungen von wenigen Jahrzehnten oder gar nur Jahren nicht von einer angeblichen weitergehenden genetischen Evolution beim Menschen her gedeutet werden können.

Es gibt zwar innerhalb des Genpools eines Volkes eine große Variabilität und Vielfalt, so dass in jedem Volk stets verschiedene Charaktere oder Persönlichkeitstypen vorhanden sind, aber im Durchschnitt gleichen sich die Genpools aller heutigen Völker, 2 d.h. die Varianz hinsichtlich der in jedem Volk vorkommenden Persönlichkeitsmerkmale ist seit Jahrtausenden in allen heute lebenden Völkern konstant und dieselbe, wie Wilson das empirisch belegt. 3 Diese konstante, der Evolution darin dienende Variabilität darf nicht mit genetischem Fortschritt verwechselt werden.

Die genetische Evolution hat zwar die Grundlage zur Hervorbringung von Geist und Kultur beim Menschen geschaffen, doch dieser genetische Prozess ist genauso wie der aufrechte Gang schon vor langer Zeit abgeschlossen worden und bei allen heute lebenden Menschen gleich. Die weitere Evolution von Geist und Kultur in den heutigen Zivilisationen wird seit dem nicht mehr direkt von der genetischen Evolution bestimmt. Die Evolution von Geist und Kultur ist ein unabhängiger Prozess.

Der zentrale soziobiologische Ausdruck der individuellen „genetischen Fitness“ ist daher nicht nur heute bei der „Evolution menschlicher Gesellschaften zu Zivilisationen“ völlig unangebracht, sondern schon seit mindestens 45.000 Jahren. Die geistig-kulturelle Evolution ist kein (genetischer) Zuchtwahlprozess, wie das Darwin annahm. Dadurch lösen sich die von Darwin bei der Entwicklung der Völker gesehenen „dunklen Rätsel“ 4 vollkommen auf: Die barbarischen Germanen gelangten nicht durch einen langwierigen Zuchtwahl- oder genetischen Prozess an die Spitze der Entwicklung und überflügelten nicht dadurch die alten Griechen, sondern ganz kurzfristig durch einen geistig-kulturellen Wissenstransfer (der Renaissance), den sie von ihrer schon vorhandenen und seit Jahrtausenden bei allen heutigen Menschen gleichen genetischen Veranlagung her ohne Weiteres aufnehmen und sofort weiterentwickeln konnten, genauso wie ein Kleinkind der Aborigines die europäische Kultur aufnehmen und weiterentwickeln kann. Das ist statt des dunklen Rätsels von Darwin nun umgekehrt ebenfalls ein Beweis dafür, dass die Evolution menschlicher Gesellschaften zu Zivilisationen ein kultureller und nicht ein genetischer Prozess war und ist.

Der gravierende Mangel des neuen Kulturverständnisses von Wilson ist allerdings, dass er die Rolle und Bedeutung des Geistig-Kulturellen in der Evolution des Menschen zwar richtig erkannt hat, das Geistig-Kulturelle dabei jedoch nur völlig unzureichend begründen kann, obwohl ihm die dazu passende Theorie von Lorenz zweifellos bekannt ist. Denn als Grundlage des geistig-kulturellen Prozesses zieht Wilson die von der Anthropologie definierten bzw. aufgezählten Universalien der Kultur heran. Das sind gemäß Wilson 67 soziale Verhaltensweisen und Institutionen, die all den Hunderten Gesellschaften gemeinsam sind. 5 Dazu gehören etwa „Aberglaube über Glück und Unglück“, „Begräbnisriten“ usw. und u.a. auch die Sprache. In der Sprache sieht Wilson zwar den eigentlichen „Gral“ und die „Zauberkraft“ des menschlichen Seins, 6 doch entgegen dieser Bezeichnung und Wertung spielt sie bei ihm nur eine statische, nominalistische Funktion als eine Universalie unter vielen anderen. Geist und Kultur des Menschen werden durch sie in dieser Form nicht wirklich und grundlegend erklärt, und auch die Aussage Wilsons „Die Besonderheit des Menschen ist seine Intentionalität“ 7 trifft die eigentliche Grundlage des menschlichen Seins nicht wirklich bzw. ist erst die Folge davon.

Das, was dem richtigen Kulturverständnis von Wilson noch fehlt, ist genau das, was das Hauptwerk der „Rückseite des Spiegels“ von Lorenz enthält: Die physiologische oder organische Grundlage des neuen, evolutiv wirksamen Informationssystems. Erst in der Synthese der Erkenntnisse von Wallace, Lorenz und Wilson ergibt sich die Grundlage und Fähigkeit dazu, die Evolutionstheorie von Darwin hinsichtlich des menschlichen Seins entscheidend zu modifizieren. Die zentrale Evolutionserkenntnis von Lorenz dazu lautet:

„Während all der gewaltigen Epochen der Erdgeschichte, während deren aus einem tief unter den Bakterien stehenden Vor-Lebewesen unsere vormenschlichen Ahnen entstanden, waren es die Kettenmoleküle der Genome, denen die Leistung anvertraut war, Wissen zu bewahren und es, mit diesem Pfunde wuchernd, zu vermehren. Und nun tritt gegen Ende des Tertiärs urplötzlich ein völlig anders geartetes organisches System auf den Plan, das sich unterfängt, dasselbe zu leisten, nur schneller und besser. […] Es ist daher keine Übertreibung zu sagen, dass das geistige Leben des Menschen eine neue Art von Leben sei“8

Paradoxerweise lieferte Darwin eine Hilfe dazu, sich hier dem Wesen der Sprache und des menschlichen Denkens und Geistes weiter zu nähern. Denn trotzdem Darwin sich in seiner Auseinandersetzung mit Wallace der Auffassung von Huxley anschloss, der nach „es durchaus nicht berechtigt [ist], den Menschen in eine besondere Ordnung zu stellen“ 9 , hat er andererseits die entscheidende natürliche Besonderheit des Menschen wahrgenommen. Denn er sah das Gehirn des Menschen als „wunderbare Maschine, die allen Arten von Dingen und Eigenschaften Zeichen beilegt und Gedankenreihen wachruft, die niemals durch bloße Sinneseindrücke entstehen könnten, oder, wenn dies der Fall wäre, doch nicht weiter verfolgt werden könnten“, wobei in der konsequenten Systematik daraus „die höheren intellektuellen Fähigkeiten, wie das Schließen, Abstrahieren, das Selbstbewußtsein usw., entstanden“ 10 .

Zwar hatte die neuronale Weiterverarbeitung der Sinnesdaten schon bei den Tieren eine immer größere Bedeutung und Komplexität erlangt, so dass die sogenannten höheren Tiere entstanden, die dann sogar zu einem einfachen Werkzeuggebrauch fähig sind. Dieser einfache Werkzeuggebrauch ist nicht genetisch selektiert und angeboren, sondern auf neuronale Weise erlernt. Doch Geist und Kultur des Menschen bestehen im Sinne von Lorenz trotzdem nicht in einem bloßen quantitativen weiteren Wachsen der schon bei den Tieren vorhandenen neuronalen Weiterarbeitung der Sinnesdaten, wie das die heutige Soziobiologie als Fehlen einer „scharfen Trennlinie zwischen Tieren und Menschen“ 11 bezüglich der kulturellen Entwicklung und leider auch Wilson mit folgender Aussage so verstehen: „Die meisten Forscher sind sich auch einig, dass der Begriff der Kultur auf Tier und Mensch gleichermaßen angewandt werden sollte, um damit die Kontinuität zwischen beiden zu unterstreichen, ungeachtet der ungleich größeren Komplexität im menschlichen Verhalten“ 12 .

Das Sein des Menschen markiert in der Theorie von Lorenz vielmehr eine ganz neue Qualität und einen neuen tiefen Einschnitt bzw. großen Übergang in der dadurch geschichteten Entwicklung des Lebens. Diese neue, das Sein des Menschen definierende Qualität ist dabei nur mit den ganz großen Ereignissen oder Übergängen in der Evolution vergleichbar, so wie mit dem Übergang vom Anorganischen zum Organischen als Beginn der Evolution des Lebendigen selbst oder dem Übergang zwischen Pflanze und Tier. Mit dem Menschen hat für Lorenz deswegen ein weiterer dieser großen Übergänge und der durch sie bedingten Schichten stattgefunden, weil beim Menschen die wachsende neuronale Informationsverarbeitung auf vollkommen natürliche Weise die Funktion eines sich selbst tragenden, die Welt und das Verhalten umfassend abstrahierenden und codierenden Systems (in der „Beilegung von Zeichen“) erreicht hat: das unserer Sprache, in der wir auch denken. Dieses neue System ist darin nicht nur zusätzlich zum bisherigen genetischen System evolutionswirksam, sondern es ersetzte beim Menschen schließlich das genetische System komplett in der weiteren Evolution.

Das eigentliche natürliche Wunder besteht also darin, dass, vergleichbar mit der Entstehung des Evolution erst ermöglichenden genetischen Systems, die neuronale Informationsverarbeitung beim Menschen neben ihrer ursprünglichen Aufgabe plötzlich etwas, zumindest auf diese organische Art, völlig Neues hervorgebracht hat: Ein codierendes und darin Evolution ermöglichendes und tragendes System, „das sich unterfängt, dasselbe zu leisten“ wie das genetische System, „nur schneller und besser“. Diese Grundlage der evolutionären Entwicklung und ihre andersartige Ergänzung in ihrer ganzen Konsequenz und im Zusammenspiel des neuronal Neuen mit den vorhandenen und weiter wirksamen genetisch codierten, instinkthaften Verhaltensantrieben zu erkennen, heißt die (schichtend gespaltene) Natur des Menschen zu erkennen.

Die Systematik als Abstraktion und Code ist das Entscheidende, das die Evolution Tragende, sowohl bei den Genen als auch unserer Sprache, wobei jedoch das Neue hier eindeutig „schneller und besser“ ist, wie es Lorenz erkannt hat. Denn der große Vorteil des neuen, neuronalen Systems gegenüber dem genetischen ist der, dass ein einziger Vorgang der Mutation oder Variation der Gene mit der dazugehörigen Selektion im alten System nur während eines Generationswechsels stattfinden kann, was je nach Spezies bis zu 20 oder 30 Jahre dauert, da die zu ändernde genetische Information untrennbar mit dem Sein der Lebewesen verbunden ist. Nur mit einem neuen Individuum kann es hier eine neue genetische Information oder Mutation geben, wobei die Selektion nur durch Ausmerzung oder sonstige Absonderung der Individuen geschehen kann, die die nicht passenden genetischen Informationen nicht nur tragen, sondern diese selbst sind.

Dagegen kann der Vorgang der Variation des neuronal Abstrahierten im menschlichen Denken jede Minute oder Sekunde stattfinden, wobei diese Variation nicht mehr an das physische Sein des Lebewesens gebunden ist. Die Selektion und Verbreitung einer passenden neuen Variante des codierten Verhaltens benötigt ebenfalls nicht wie noch im genetischen System mehrere Jahrzehnte oder gar Jahrtausende, sondern der Mensch kann die passende Lösung ebenfalls minuten- oder gar sekundenschnell finden und über die Sprache sofort verbreiten, und zwar direkt und gleichzeitig zu allen Mitgliedern seiner Gruppe, also um mehrere Größenordnungen „schneller und besser“ als das genetische System. Diese in der Sprache systematisierten neuronalen Aktivitäten empfinden wir dabei als Geist, genauso wie wir die elektromagnetischen Wellen als Licht und Farbe empfinden.

Die notwendige Anpassung einer Verhaltensweise an neue Lebensbedingungen (was sowohl genetisch als auch neuronal erfolgen kann), zu der das alte genetische System der Informationsgewinnung und -verarbeitung Jahrhunderte oder gar Jahrtausende unter großem physischen Kampf, Leid und Tod unzähliger dabei ausselektierter Lebewesen benötigt, ist mit dem neuen evolutiven Informationssystem im Idealfall innerhalb von Sekunden zu bewerkstelligen, ohne dabei auch nur die Selektion bzw. den Tod eines einzigen Lebewesens zu erfordern. Denn hierbei ist die Information der Verhaltensanpassung, um die es eigentlich in der Evolution geht, nur in der neuronalen Abstraktion vorhanden und nicht im Erbgut der Lebewesen, d.h. es werden nur neuronale Abstraktionen selektiert und keine Lebewesen. Diese neue, neuronal getragene Evolution ist daher in ihrer Wirkweise buchstäblich das, was wir »human« nennen.

Im Fall der neuronalen, kulturellen Evolution werden zwar nicht mehr neue Lebewesen und angeborene Verhaltensweisen hervorgebracht, sondern als Kultur künstliche Produkte (zu der auch unsere Personalität als geistiges Sein gehört) und gelernte Verhaltensweisen. Doch auf dieser kulturellen Evolution beruht unser Leben seit vielen Jahrtausenden und darin kann auch nur die Zukunft des Menschen liegen. In dieser geistig-kulturellen Evolution nimmt ihr Einfluss auf unser genetisch vorgezeichnetes Sein und Verhalten mehr und mehr zu, d.h. mehr und mehr unserer genetisch verankerten Instinkte werden in dieser geistig-kulturellen Evolution zu einem unangepassten Verhalten, wobei dieses unangepasste instinkthafte Verhalten nur (als Schicht) kulturell überlagert aber nicht (genetisch) eliminiert werden kann.

Geist und Kultur sind in dieser Weise bei Lorenz nicht nur eine Schicht, Ordnung oder Kategorie eigener Art, was schon Darwin bestritten hatte und was die heutige Soziobiologie immer noch bestreitet, sondern sogar eine Evolution eigener Art, eine (neuronale) Evolution in der (genetischen) Evolution.

Sowohl von der Bedeutung für das menschliche Sein als auch von der Funktionsweise her vergleicht Lorenz die Entstehung des geistig-kulturellen Systems beim Menschen daher völlig zu recht mit der Entstehung des ursprünglichen Evolutionsprozesses selbst. Im genetischen System werden die makroskopischen Strukturen der Körperteile und Funktionen durch die mikroskopischen der Gene abstrahiert. Trotz aller sonstiger Verschiedenheit ähnelt das neue, neuronale System in seiner grundlegenden Funktion der Abstraktion makroskopischer Strukturen (der sinnlichen Wahrnehmung der Welt) durch mikroskopische (der neuronalen Begriffsbildung) dem genetischen System. Lorenz sagt daher über diese beiden Evolution erzeugenden Ereignisse, bzw. wie er es nennt, „Fulgurationen“ als blitzartiges Entstehen völlig neuer Eigenschaften: „Die Parallelen – fast möchte man sagen: die Analogien -, die zwischen diesen beiden größten Fulgurationen bestehen, die sich in der Geschichte unseres Planeten je ereignet haben, regen zu tiefstem Nachdenken an“ 13 .

Lorenz bietet mit seinem Bezug zur Geisteswissenschaft den Ansatz dazu, das gegenwärtige biologische Verständnis von Geist und Kultur des Menschen kritisch zu hinterfragen, und zwar daraufhin, ob hier nicht ein grundsätzlicher Irrtum mit desaströsen Folgen vorliegt, der dann schon bei Darwin vorhanden war. Mit dem Schichtensystem von Hartmann und Lorenz lässt sich dabei sogar erklären, warum es in der ersten Anwendung der Evolutionstheorie auf die Gesellschaft und das Soziale des Menschen zu den Folgen des Sozialdarwinismus gekommen ist.

In einem eigenen Abschnitt seines Buches geht Lorenz nach der Vorstellung des Schichtensystems von Hartmann auf die von ihm genannten „Grenzüberschreitungen“ zwischen den Schichten ein, d.h. wenn versucht wird, die für höhere Schichten kennzeichnenden und ihnen allein eigenen Vorgänge und Gesetzlichkeiten mit den Geschehenskategorien der tieferen zu erfassen oder umgekehrt die Eigenarten und Gesetzlichkeiten der höheren Schicht auf tiefere zu übertragen. Das letztere liegt vor, wenn etwa einem Eisenatom Bewusstsein zugeschrieben wird, was Lorenz dafür als Beispiel bringt, oder wenn Genen Egoismus unterstellt wird. Der Begriff Egoismus ist eine Eigenart der geistigen Schicht des Menschen und passt ebensowenig auf die der Gene wie die des Bewusstseins auf ein Eisenatom passt.

Dieser Kategorienfehler liegt in umgekehrter Hinsicht auch vor, wenn Leben nur als physikalisch-chemisches Geschehen definiert und verstanden wird oder wenn etwa ein Tier unter den Gesetzmäßigkeiten einer Pflanze behandelt wird, es also auf einem nährstoffreichen Boden fixiert, die Zufuhr von Sonnenlicht gewährleistet und es ab und zu mit etwas Wasser begossen wird. Im Fall des Menschen ergibt sich diese Grenzüberschreitung, wenn das geistige und kulturelle Sein allein unter den genetischen Gesetzmäßigkeiten der darunter liegenden Schicht, also die der animalischen oder genetischen Evolution, verstanden wird (weil man eine darüber liegende Schicht gar nicht als solche kennt oder anerkennt). Dadurch werden geistige Vorteile und Defizite allein als genetische Vorteile und Defizite gesehen, und das heißt, dass diese Defizite nicht durch ein Lernen auf der neuronalen Ebene innerhalb des Seins eines Individuums ausgeglichen werden können, sondern sie sind, der genetischen Gesetzmäßigkeit folgend, fest an das physische Sein des Individuums gebunden, schon vor seiner Geburt festgelegt und während seines Lebens unveränderlich. Denn das ist im Gegensatz zur neuronal codierten Information die Gesetzmäßigkeit der genetisch codierten Information.

Diese Grenzverletzung oder dieser Kategorienfehler im Schichtensystem ist das, was wir im praktischen Leben dann Rassismus nennen und es darin erfahren. Weil schon Darwin diesen Kategorienfehler begangen hat, sind demzufolge bei ihm rassistische Ansichten zu finden, wenn er sagt: „So neigen also die leichtsinnigen, heruntergekommenen und lasterhaften Glieder der Menschheit dazu, sich schneller zu vermehren als die gewissenhaften, pflichtbewußten Menschen. Oder, wie Greg den Fall darstellt, ,der sorglose, schmutzige, genügsame Irländer vermehrt sich wie ein Kaninchen; der mäßige, vorsichtige, sich selbst achtende, ehrgeizige Schotte […] heiratet spät und hinterläßt wenig Kinder“ (Darwin 1871/2002, S. 178). Dasselbe betrifft die sozialdarwinistische Ansicht, dass das Schicksal der unteren Schichten innerhalb einer Gesellschaft nicht auf einem Mangel an Bildung beruht, sondern ebenfalls genetisch bedingt ist. Der sozialdarwinistischen Ansicht nach sind diese Menschen möglichst an der Fortpflanzung zu hindern, zumindest aber werden sie keineswegs als gleichberechtigt angesehen, sie sind in diesem Verständnis von Natur aus nicht veränderbar minderwertig.

Trotzdem in den modernen Gesellschaften diese sozialdarwinistischen Ansichten zwischenzeitlich nicht nur als falsch, sondern geradezu als teuflisch erwiesen worden sind, halten sie sich hartnäckig. Woran liegt das? Es liegt an unseren Instinkten, die als animalisches Erbe in unseren Genen verankert sind und noch aus der Zeit der genetischen Evolution des Tieres stammen, das sich zum Menschen entwickelt hat. Die genetische Evolution beruht auf dem Recht des Stärkeren, und darin den Schwächeren zu diskrimieren oder gar zu töten, um die minderwertige genetische Information zu tilgen, darin besteht die Gesetzmäßigkeit der genetischen Evolution, denn nur so können sich die erfolgreicheren Gene des Stärkeren gegenüber dem Schwächeren durchsetzen.

Die heutige Biologie vertritt nach den gemachten Erfahrungen bis zum 2. Weltkrieg natürlich nicht mehr die extremen sozialdarwinistischen Positionen wie die der Euthanasie usw., aber solange sie nicht die Eigengesetzlichkeit von Geist und Kultur des Menschen und damit auch die Unabhängigkeit der Geisteswissenschaften anerkennt und berücksichtigt, wird sie einerseits keine auf die aktuelle Evolution des Menschen anwendbare Theorie finden und sie wird andererseits immer versucht sein, stattdessen sozialdarwinistische Ansichten zu entwickeln, die einfach nicht mehr auf die aktuelle Evolution des Menschen passen. Die nur genetisch gegründete Evolutionstheorie passt ebensowenig auf die aktuelle Evolution des Menschen wie ein religiöser Schöpfungsglaube und würde genau wie dieser, bei einer praktischen Anwendung auf die heutige Gesellschaft, „böse in die Irre führen“, wie Lorenz die Grenzüberschreitungen zwischen den Schichten bezeichnet. Der Sozialdarwinismus ist das anschauliche Beispiel dafür und im naturwissenschaftlichen Sinne sozusagen der praktische Versuch zur Falsifizierung bzw. Verifizierung einer (Evolutions)Theorie.

Eine im Sinne des Schichtensystems und der eigenständigen kulturellen Evolution modifizierte Evolutionstheorie würde viele wenn nicht gar alle Probleme der bisherigen Evolutionstheorie beseitigen, vor allem das Problem des Grabens zu den Geisteswissenschaften. In der eigenständigen und eigengesetzlichen geistig-kulturellen Evolution behalten die Geisteswissenschaften ihre Eigenständigkeit, erfahren aber trotzdem durch die Evolutionstheorie eine tiefere Erklärung ihres eigenständigen Seins.

1 vgl. Edward O. Wilson, Die soziale Eroberung der Erde“, München 2013, S. 127

2vgl. Wilson 2013, S. 127ff

3vgl. Wilson 2013, S. 129

4 Charles Darwin, „Die Abstammung des Menschen“, Stuttgart 1871/2002, S. 182

5 vgl. Wilson 2013, S. 232f

6 vgl. Wilson 2013, S. 273

7 Wilson 2013, S. 271

8 Konrad Lorenz, „Die Rückseite des Spiegels“, München 1987, S. 217

9Darwin 1871/2002, S. 194

10 Darwin 1871/2002, S. 268

11 Voland, Eckart, „Soziobiologie“,Heidelberg 2013, S. 214

12 Wilson 2013, S. 256

13 Lorenz 1987, S. 216